Der 12. Mann - Typen hinterm Tor
Aus dem Eulenspiegel - von Philipp Köster
mit einem ALTsTARS-Nachtrag vom Frosch
"Fußballfans sind wie Tiere", sagte einst ein englischer
Minister. Eine treffende Analyse. Doch Fußballfans sind noch weit
mehr als das. Fußballfans sind launisch und unberechenbar, unfair
und gottlos, verwildert und roh. Nach WM-Qualifikation und Herbstmeisterschaft
ist Zeit für eine soziologische Stippvisite in den Stadien der Männerfreundschaften.
Und dabei zeigt sich: Nicht alle sind Ballermänner mit Torschußpanik...
Der Seher
Ihm kann man nichts vormachen. Er kennt alle Bundesliga-Spieler
seit 1963, das Torverhältnis von Tasmania Berlin im Jahre 1970,
die Ehrenspielführer der Nationalelf und natürlich auch die Rasensorte
auf dem Betzenberg in Kaiserslautern. Und deshalb weiß er auch alles
vorher. »Der geht rein«, verkündet er mit Expertenstimme den anderen
Fans auf der Tribüne, als sich der Linksaußen des Gegners den Ball
zurechtlegt. Zwanzig Meter vor dem Tor, gefährliche Situation. Doch
der Ball geht drüber, weit sogar. »War klar«, sagt er laut. Dann
gibt es Elfmeter für die Heimmannschaft. »Den verschießt er«, sagt
der Seher. Der Torwart springt nach rechts, der Ball schlägt links
ein. »War klar«, sagt er wieder. Kurz vor Spielende verläßt er den
Block, um nicht in den Stau zu geraten. Zum Abschied grüßt er noch
einmal in die Runde, aber keiner grüßt zurück. War klar.
Die Gang
Vor dem Spiel stehen sie am Aufgang zum Fanblock. Sie heißen Rotzer,
Sixpack, Pomo und Ficki. Alles reizende Burschen, außer man trifft
sie einzeln oder in der Gruppe. Jeder Fan, der kleiner ist oder
eine Brille trägt, bekommt einen Klaps auf den Hinterkopf. Einer
muß seinen Fanschal abgeben, obwohl er ihn gerade neu hat. Jetzt
hat Pomo ihn neu. Unter der Woche trifft man Rotzer und Sixpack
vor dem Jugendgericht, im Publikum bei »Vera am Mittag« und als
Rausschmeißer in Spielotheken. Ficki macht als einziger eine Lehre
beim örtlichen Bordellbetreiber. In der Halbzeit holt Pomo dann
Bier für alle. Weil es auf der Tribüne eng ist, schubst er die Umstehenden.
Pech, daß einer von denen Nahkampfexperte ist, zehn Jahre Bundeswehr
und jede Menge asiatische Gürtel. Jetzt hat Pomo Angst. Und der
Nahkampfexperte einen neuen Schal.
Der Logenbesucher
Er sitzt bequem, im gepolsterten Sessel mit Armlehnen und freundlichen
Servierdamen. Noch einen Prosecco? Aber sehr gerne, schmeckt fabelhaft
zum Lachshäppchen. Dabei haßt er Fußball eigentlich, diesen dämlichen
Proletensport. Aber der Chef geht immer hin und der Hundesohn Schneider
aus dem Controlling auch. Da heißt es am Ball bleiben, wenn es was
mit der Abteilungsleitung werden soll. Von Fußball hat er keine
Ahnung. Warum laufen jetzt alle in eine Richtung? Und wer ist der
Mann in Schwarz? Plötzlich jubelt der Chef. Vorsichtshalber einfach
auch jubeln. Aber wie peinlich, der Chef hat sich gar nicht gefreut,
sondern derbe geflucht und schaut jetzt böse herüber. Neben ihm
sitzt Schneider aus dem Controlling, grinst hämisch und bestellt
noch einen Prosecco für den Chef.
Die Legende
Alle kennen ihn. Er war schon immer da, und seine Taten sind Legende.
Er hat einem Linienrichter die Fahne gestohlen. Er hat mit einer
Beamtin des Bundesgrenzschutzes auf dem Bahnsteig Walzer getanzt.
Er ist zum Auswärtsspiel dreihundert Kilometer mit dem Taxi gefahren.
Er hat einem Motorradpolizisten den Helm geklaut. Er hat nach dem
Auswärtsspiel in München die Kapelle im Hofbräuhaus dirigiert. Er
hat schon mal eine Wespe gegessen. Er hat in einer Autobahnraststätte
eine Porzellankuh aus dem Schaufenster entwendet. Er kann sich übergeben
und gleichzeitig Bier trinken. Er ist eine Legende. Wie er mit Vornamen
heißt, weiß keiner.
Der Intellektuelle
Er geht nur hin und wieder zum Fußball. Nie würde er einen Schal
tragen oder eine Fahne schwenken, denn die Masse widert ihn an.
Der Intellektuelle ist wegen des Fußballs hier. Der Bessere möge
gewinnen, sagt er und schiebt seine Brille hoch. Ist schließlich
nur ein Spiel, wer wird sich da künstlich aufregen? Er jedenfalls
nicht. Aber gerade eben, bei aller Fairneß, das war doch ein Foul,
ein glasklares Foul sogar. Und der Schiedsrichter pfeift nicht.
Ist doch nicht zu fassen. Diese blinde Sau. Ist wohl bestochen.
Aber natürlich ist der bestochen. Los, rauf auf den Zaun, wie die
anderen. Und jetzt alle: »Schieber, Schieber!« Erst nach fünf Minuten
klettert er wieder vom Zaun. Ist doch wahr. Abends trifft er sich
dann mit seiner Lesegruppe. Kafkas Briefe, spannendes Thema. Ludger,
Svenja und Iris sind schon da und schauen so komisch. Dann sagt
Svenja tonlos: »Du bist beim Fußball gesehen worden«, und wiederholt
es noch mal: »Beim Fußball!« Er wird bleich. In der Lesegruppe kann
er nicht bleiben, soviel ist klar. An der Tür drückt ihm Ludger
noch einmal wortlos die Hand.
Der Schamane
An Spieltagen klingelt schon früh um sieben sein Wecker. Im Badezimmer
murmelt er vor dem Spiegel beschwörend den Wortlaut von Ernst Hubertys
Sportschau-Kommentar aus der Meistersaison 1977. Dann geht er in
sein Zimmer und steckt Nadeln in ein Stoffpüppchen, auf daß der
Mittelstürmer des Gegners plötzlich unerklärliche Schmerzen im Standbein
hat. Um halb drei geht er zum Stadion, immer auf der linken Straßenseite,
das brachte beim letzten Heimspiel Glück. Und in der Pause bringt
er dem Fußballgott ein Bratwurstopfer mit Senf. Es wirkt vortrefflich,
die Mannschaft gewinnt am Ende, er kommt nach Hause und verkündet
seiner Freundin: »Wir haben gewonnen!« Die lächelt indigniert und
sagt: »Wieso wir? Hast du mitgespielt?« Er holt wieder sein Stoffpüppchen
hervor und die dicken Stopfnadeln. In dieser Nacht wird die Freundin
schlecht schlafen.
Die treue Seele
Er hat seinem Club schon alles verziehen. Daß sie für viel Geld
diesen einbeinigen argentinischen Mittelstürmer verpflichtet haben.
Daß sie einen Manager eingestellt haben, der bereits wegen Anlagebetrugs
steckbrieflich gesucht wurde. Und daß sie jetzt schon wieder abgestiegen
sind. Alles halb so wild. Aber dann war da dieser Sonntag im November.
Er war mitgefahren, zum Auswärtsspiel in der Regionalliga Nord gegen
Lübeck. Seine Mannschaft hatte schlecht gespielt und zur Halbzeit
hatte es angefangen aus Kübeln zu regnen. Dann waren auch die Bratwürstchen
alle und das Bier alkoholfrei. Er fror erbärmlich. Schlußpfiff,
das Spiel verloren, bloß schnell zum Parkplatz. Doch dann sprang
sein Auto nicht an. Ein Hooligan mit höchstens drei Zähnen und gekonnt
selbst gestochenem Tattoo »Alles Schlampen außer Mutti« gab ihm
Starthilfe. »Nie wieder«, schwor er sich grimmig auf der Heimfahrt.
Und er hat es eisern durchgehalten. Bis zum nächsten Samstag.
Die mächtigen ALTsTARS
Natürlich sind wir eine Gäng! Mit Namen wie Frosch, Droll,
Asen, Johnaldo und Hansemann haben wir auch schon tolle Namen. Frosch
darf ohne Bewährungshelfer garnicht mehr ins Stadion, die ganze
Gäng ist schon vorm Anpfiff rappeldicht. Und kleine Kinder
verhauen ist gerade vom Hansemann und vom Droll der grösste
Wunsch. Na gut, sie trauen sich nicht - aber trotzdem. In unserer
Gäng sind alle Legenden, weil wir immer schon da waren. Und
Geschichten: Hansemann, der mit dem Notarztwagen vom Klo geholt
werden musste, Droll, der eine ganze Hafenrundfahrt unter seiner
Jacke vollbrachte und Frosch, den man heimlich schlafend nach Holland
verschleppen wollte. Seher und Intellektuelle sind wir nur phasenweise,
meistens während des Spiels. Wenn Fortuna verliert: "War
klar!" - wer sagt das nicht. Über den Schiri aufregen
tut sich am lautesten der Frosch - aber ob gerade der interlelel...
dingens wird? Da geht der und auch der Hansemann mal viel eher als
Schamanen durch. Jeder Gang zum Bierholen oder Klobesuch wird da
dem Spielgeschehen angepasst, ob der Banner nun rechts oder links
vom Tor hängen soll, den Schal einfach oder doppeltgewickelt
um den Hals und im Sommer lange oder kurze Hose - wenn man da nicht
Schamane ist, ist das Spiel schnell verloren. Und wir sind alle
natürlich Fortuna 95 Fans - also treue Seelen per Definition.
Geht garnicht anders. Den Absatz haben wir komplett genau so schon
erlebt.
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